
Das Internet bietet Jugendlichen unzählige Möglichkeiten, sich zu vernetzen, Interessen zu verfolgen und Teil einer digitalen Gemeinschaft zu werden. Ob auf TikTok, YouTube, Reddit oder Discord – viele junge Menschen entdecken hier Subkulturen, die ihnen Zugehörigkeit, Unterhaltung und Austausch bieten. Doch nicht alle dieser Online-Communities sind unproblematisch: Zwischen Gaming-Clans, Sportforen und Cosplay-Gruppen existieren auch radikalisierende Räume, in denen problematische Weltbilder entstehen und weitergegeben werden.
Digitale Subkulturen als sozialer Raum
Subkulturen im Internet entstehen meist rund um ein gemeinsames Interesse: Gaming, Musik, Serien, Sportarten oder kreative Hobbys. Discord-Server, Reddit-Threads oder Gruppen-Chats auf Snapchat und WhatsApp dienen als Treffpunkte, in denen sich junge Menschen austauschen, gegenseitig motivieren oder einfach Spaß haben.
Viele dieser Gruppen bieten Jugendlichen einen wertvollen sozialen Raum, in dem sie sich ausprobieren, Anerkennung finden und ihre Identität stärken können. Auch in Gaming-Communities etwa ist der Austausch nicht mehr nur auf das Spiel begrenzt. Es geht um Freundschaft, Respekt und gemeinsame Ziele. Solche digitalen Treffpunkte können echte Unterstützung bieten – und sind deshalb auch so attraktiv.
Wenn digitale Räume kippen
Doch nicht jeder digitale Raum ist harmlos. Manche Communities, etwa auf Plattformen wie TikTok, Telegram, Reddit oder Discord entwickeln sich zu toxischen Echokammern. Diese Räume sind oft abgeschottet, benutzen eine eigene Sprache und geben zum Beispiel vor, einfache Antworten auf Lebensfragen zu liefern – verbreiten dabei aber unter anderem frauenfeindliche, verschwörungsideologische oder extrem einseitige Sichtweisen.
Der Einstieg in solche Subkulturen erfolgt dabei nicht immer ideologisch – oft sind es alltägliche Themen wie Selbstbewusstsein, Männlichkeit oder der Wunsch nach Orientierung, die Jugendliche ansprechen. Hier setzt eine gefährliche Dynamik ein: Soziale Netzwerke arbeiten mit Algorithmen, die analysieren, wofür sich Nutzer interessieren – und dann gezielt ähnlichen Content ausspielen.
Was mit harmlosen Tipps beginnt, kann schnell zu radikalem Gedankengut führen.
Diese algorithmisch gesteuerten Filterblasen sorgen dafür, dass Nutzer zunehmend nur noch Inhalte sehen, die ihre Sichtweise bestätigen. Abweichende Perspektiven verschwinden aus dem Feed. In Kombination mit der emotionalen Ansprache vieler Videos entsteht ein regelrechter Sog – ein digitales „Wurmloch“, in das man hineingezogen wird, oft ohne es zu merken.
Auch das reale Umfeld spielt eine entscheidende Rolle. Es sind nicht nur Algorithmen, sondern auch Peers, oder vermeintliche Vorbilder, die Jugendliche in Kontakt mit problematischen Inhalten bringen können – durch einen Link im Chat, eine beiläufige Bemerkung oder einen scheinbar lustigen Clip.
Ein eindrucksvolles Beispiel für diese Dynamik zeigt die Netflix-Serie „Adolescence“ (2024). Die fiktive Serie erzählt, wie ein Jugendlicher – verunsichert durch Pubertät, Zurückweisung und Identitätsfragen – langsam in eine radikale Online-Community abrutscht.
Die “Manosphere” – antifeministische Online-Subkulturen
Ein zentraler Begriff in diesem Zusammenhang ist die sogenannte „Manosphere“ – ein loses Netzwerk aus antifeministischen Online-Subkulturen, die verschiedene Strömungen vereint:
- MRAs (Men’s Rights Activists) behaupten, Männer würden durch Gleichstellung benachteiligt. Sie sprechen von „umgekehrter Diskriminierung“ und stellen den Feminismus als Gefahr dar.
- Redpiller glauben, durch das „Schlucken der roten Pille“ die vermeintliche Wahrheit zu erkennen: Frauen hätten die Kontrolle über Gesellschaft und Sexualität, Männer müssten sich „zurückholen“, was ihnen zustehe.
- PUAs (Pick-Up Artists) vermitteln angebliche Strategien, um Frauen zu „erobern“. Tatsächlich handelt es sich oft um manipulative, sexistische Taktiken, die Frauen auf ihr „sexuelles Nutzenversprechen“ reduzieren.
- MGTOW (Men Going Their Own Way) lehnen jeglichen Kontakt zu Frauen ab und inszenieren sich als männliche „Selbstverwirklicher“, oft mit frauenfeindlichem Unterton.
- Incels („involuntary celibates“) glauben, sie hätten ein Recht auf Sex, das ihnen durch Frauen oder die Gesellschaft verwehrt werde. In extremen Fällen fordern sie die Einschränkung oder Abschaffung von Frauenrechten.
Alle diese Gruppen teilen ein grundlegendes Feindbild: Frauen und Feminismus. Diese Gruppierungen überschneiden sich inhaltlich und personell und sind Teil eines radikalisierten Netzwerks. Der Diskurs wirkt oft harmlos oder sogar humorvoll – aber unter der Oberfläche steckt eine tief verwurzelte Misogynie (Frauenfeindlichkeit/Frauenhass).
Woran erkenne ich problematische Subkulturen
Problematische Subkulturen nutzen oft eine eigene Sprache, Abkürzungen oder Insider-Memes, die für Außenstehende schwer zu durchschauen sind. Solche Gruppen vermitteln ein starkes „Wir-Gefühl“, grenzen sich aber deutlich nach außen ab – sei es gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Gruppen, Institutionen oder Andersdenkenden. Feindbilder werden aufgebaut, häufig unter dem Deckmantel von Ironie oder Humor. Inhalte wirken auf den ersten Blick harmlos oder unterhaltsam, transportieren aber vereinfachte Weltbilder und klare Abwertungen.
Abweichende Meinungen gelten als falsch oder manipuliert – wer widerspricht, wird häufig belächelt oder ausgeschlossen. Auch eine stark kontrollierte Gruppenstruktur mit klaren Rollen oder rigider Moderation kann ein Hinweis auf ideologische Tendenzen sein.
Was können Eltern und pädagogische Fachkräfte tun?
Es geht nicht darum, Jugendlichen ihre Online-Aktivitäten zu verbieten oder sie unter Generalverdacht zu stellen. Vielmehr ist es wichtig, aufmerksam und offen zu bleiben – und Interesse für die digitalen Lebenswelten der Jugendlichen zu zeigen:
- Echtes Interesse und Zuhören: Welche Plattformen werden genutzt? Welche Inhalte faszinieren? Wer sind die Vorbilder?
- Gespräche auf Augenhöhe: Orientierung entsteht durch Vertrauen, nicht durch Kontrolle. Offen nachfragen, ehrlich zuhören und gemeinsam einordnen hilft mehr als Vorwürfe.
- Medienkompetenz stärken: Begriffe, Codes und Mechanismen digitaler Kommunikation sollten Thema im Unterricht und Zuhause sein – verständlich und altersgerecht.
- Klare Haltung bei Grenzüberschreitungen: Sexistische, menschenfeindliche oder extremistische Aussagen dürfen nicht verharmlost werden – sie brauchen eine deutliche Reaktion.
Digitale Subkulturen spiegeln gesellschaftliche Themen wider – sie zeigen, was junge Menschen beschäftigt und wonach sie suchen. Sie sind nicht per se gut oder schlecht. Entscheidend ist, ob sie Offenheit fördern oder sich in ideologischen Echokammern verfestigen. Umso wichtiger ist es, Jugendlichen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie kritisch, aber neugierig durch ihre Online-Welten navigieren können.